Wettlauf der Hebesätze beenden

Wettlauf der Hebesätze beenden

BVerfG-Entscheidung zur Grundsteuer kann Chance für klugen Neuanfang und eine wirkliche Gemeindefinanzreform sein

Was wie ein Paukenschlag daherkam, war eigentlich lange erwartet. Man brauchte nicht allzu viel Phantasie, um sich auszumalen, dass Einheitswerte mit nur noch historischem Charme einer aktuellen Prüfung auf Verfassungsmäßigkeit nicht standhalten können.

Jetzt ist die Aufregung groß, alle haben Angst zu verlieren und treuherzig dreinschauende Finanzminister versprechen „hoch und heilig“, dass keine versteckte Steuererhöhung damit einhergehen wird. Herzerwärmend! Für erfahrene Kommunale kann das auch als Drohung klingen.

Nun sind eigentlich zwei wesentliche Fragen maßgebend:

  1. Legen wir Deutschland endgültig lahm, indem wir den Irrsinn der NKF-Umstellung wiederholen und eine individuelle Bewertung der geschätzt 35 Mio. Grundstücke vornehmen lassen oder trauen wir uns eine pragmatische Lösung, z. B. ausschließlich auf die Bodenwerte abzustellen, die für fast alle Flächen ermittelt und fortgeschrieben sind?
  2. Nutzen wir diese Chance, den völlig absurden Wettlauf der Hebesätze gerade in den strukturschwachen Kommunen rückgängig zu machen und auch hier zu einem Neustart zu kommen?

Wer in einer NRW-Kommune die NKF-Umstellung vor rd. 10 – 15 Jahren miterlebt hat, der weiß, was für ein z. T. abenteuerlicher Aufwand zur Ermittlung von nicht marktgängigen Vermögensgegenständen getrieben werden musste. Historische Akten wurden gesucht und gelegentlich rekonstruiert, pensionierte Hoch- und Tiefbauer auf Honorarbasis reaktiviert und teure Gutachten zum Sanierungsbedarf von Straßen, Brücken, Schulen, … in Auftrag gegeben. Am Ende standen Summen in Eröffnungsbilanzen, die dann von Wirtschaftsprüfern testiert und anschließend von den staatlichen Gemeindeprüfern wieder in Zweifel gezogen wurden. In mancher Stadt wurde seit der Umstellung kein Grundstück mehr mit einem Buchgewinn verkauft, weil vorsichtige Abschläge auf die bilanzierten Werte von den neunmalklugen Aufsichtsbehörden nicht akzeptiert wurden.

Mit dieser Erfahrung ist es eine Horrorvorstellung, dass diese planmäßige Vernichtung von öffentlichen Mitteln jetzt auch bei allen Privatgrundstücken erfolgen soll. Hoffentlich siegt die Vernunft über den teutonischen Gerechtigkeitswahn!

Noch wichtiger ist es aber, die Notwendigkeit einer umfassenden Reform der Grundsteuer zu verbinden mit einer „Neukalibrierung“ der z. T. extrem erhöhten Hebesätze.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Am Ende ist es nicht zu begründen, dass Stärkungspaktkommunen wie Duisburg oder Hagen einen (beinahe) doppelt so hohen Hebesatz aufrufen als etwa Düsseldorf. Als kommunale Entscheidungsträger wissen wir, dass es nichts mit den Standortbedingungen zu tun hat, sondern ausschließlich mit der Haushaltsnot vor Ort, dass heute diese horrenden Zahlen im Raum stehen.

Als ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Hagen kann ich mich sehr gut an die erste Aufstellung eines Haushaltssanierungsplans unter den Bedingungen des NRW-Stärkungspaktes erinnern. Wir waren noch unter dem Eindruck einer schon spürbaren Kreditklemme hoch motiviert, bei allen Fehlern dieses Hilfspakets die Hilfsmittel für die Stadt zu erhalten und damit den Kopf über Wasser. Nach einem bereits umgesetzten Sparpaket von 90 Millionen Euro pro Jahr wurden weitere harte Konsolidierungsmaßnahmen angefasst. Steuererhöhungen wollte ich um jeden Preis vermeiden, da ich dies im Wahlkampf 2008/2009 („hoch und heilig“) versprochen hatte. Und dann erreichte den Kämmerer die Nachricht, dass die Steuern um 20 Mio. € einbrechen.

In dieser Situation hat natürlich weder das Innenministerium noch die zuständige Bezirksregierung die Anordnung gegeben, den Grundsteuerhebesatz zu erhöhen. Man achtet ja die kommunale Selbstverwaltung!

Die Aufsichtsbehörden ließen allerdings keine Gelegenheit aus, deutlich zu machen, dass ohne einen kassenmäßig wirksamen Ausgleich keine Hilfsmittel aus dem Stärkungspakt geben wird. Jeder der kommunales Wirtschaften kennt weiß, dass nur der Grundsteuerhebesatz eine Stellschraube ist, mit der man sofort und berechenbar die kommunalen Einnahmen erhöht. Und so mussten wir dem Rat vorschlagen (trotz des Versprechens), den Hebesatz von 550 auf 750 Punkte zu erhöhen, wo er heute noch steht.

Vielen anderen Kommunen ist es ebenso ergangen. Kein kommunal Verantwortlicher hat einen Hebesatz von mehr als 500 Punkten als wirkliche Gestaltungsentscheidung im Rahmen der Selbstverwaltung getroffen. Es waren – wir sollten hier der Wahrheit die Ehre geben – letztlich der Druck des Landes, die Sorge um den Verlust der Kreditfähigkeit bei enormen Schuldenportfolien und fehlende Alternativen, die den Wettlauf der Hebesätze auslösten.

Und jetzt besteht die Chance, im Zuge der Grundsteuerreform diese „Ausrutscher“ wieder einzufangen. Es wäre sträfliche, diese nicht zu nutzen.

Allerdings muss dies zwingend verbunden werden mit einer wirklichen Gemeindefinanzreform. Bevor wieder Fehlentwicklungen bei den Hebesätzen hingenommen werden, muss die Finanzausstattung aller Kommunen so aufgestellt sein, dass diese in jedem Falle Ihre Pflichtaufgaben erfüllen können.

Dies bedeutet, dass wir uns trauen, Art und Qualität der Pflichtaufgaben zu definieren und damit auch klar zu sagen, dass alles darüber hinaus nur möglich ist, wenn zusätzlich Einnahmen zur Verfügung stehen. Bis heute ist jede Diskussion über die Aufgabe eines Schwimmbades oder gar einer Kultureinrichtung zwanghaft verbunden mit der dann heraufbeschworenen Angst vor dem Untergang des Abendlandes. Davon müssen wir uns lösen und der Tatsache ins Auge sehen, dass Mindestausstattung in Schwimmfläche pro Einwohner oder Theatersessel pro Einwohner definiert wird, sicher sinnvoll differenziert zwischen Ballungsgebieten und Flächengemeinden.

Es wird auch nicht reichen, die z. T. fast dümmliche Unterscheidung zwischen pflichtigen und freiwilligen Aufgaben fortzusetzen. Auch hier wird man genauer hinsehen müssen. Wenn ÖPNV sicher Daseinsvorsorge ist, gilt dies dann uneingeschränkt auch für die Wuppertaler Schwebebahn? Natürlich finden wir alle den Offenen Ganztag an Grundschulen unverzichtbar, auch wenn das heutige Dauerprovisorium immer noch außerhalb der Schulorganisation zum Schämen ist. Aber ist auch akzeptabel, wenn in einer mittleren Großstadt im Westen des Ruhrgebiets der kommunale Zuschuss nach Abzug der Landesmittel 2.000 Euro pro Kind und Jahr beträgt und in einer Flächenkommune im äußersten Süden von NRW gerade 60 Euro?

Nur wenn wir eine ehrliche Diskussion über das wirklich Erforderliche führen, kann es uns gelingen, zu einer nachvollziehbaren und gerechten kommunalen Finanzausstattung zu kommen.

Es wird höchste Zeit, diese Debatte zu führen. Man kann sich beruhigen lassen, von den vielen Nachrichten, wie Städte mit Hilfe des Stärkungspaktes in NRW oder vergleichbarer Rettungsschirme in anderen Bundesländern ihre Haushalte nach Jahrzehnten wieder ausgeglichen haben. Nicht vergessen dürfen wir, dass dies unter den Bedingungen einer seit Jahren positiven Konjunkturentwicklung, einer niedrigen Arbeitslosigkeit, damit verbunden relativ niedrigen Sozialausgaben und historisch niedrigen Zinsen (bis hin zu Negativzinsen) nur dadurch gelungen ist, dass alle Mittelfristplanungen auf sehr positiven Annahmen beruhen.

Wir Kommunalen wissen, dass wir aus diesem rosaroten Traum schneller aufwachen können, als allen lieb ist. Und schlimmstenfalls gehen wir dann zurück auf „LOS“.

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